Andreas Hoffer, Kurator Kunsthalle Krems
Altes Eisen, der Titel der Ausstellung legt einen feinen, doppelbödigen Humor der Künstlerin offen, der auch, ganz subtil und manchmal für die Betrachter/innen kaum merklich, in ihrer Malerei zu finden ist. Ganz wörtlich gelesen ist er aber ein Verweis auf die Sujets dieser aktuellen Serie, monumentale Maschinen aus aufgelassenen Textilbetrieben. Kolosse der Industrialisierung. Noch nicht in slicken Verpackungen versteckte Funktion, völlig analog, stehen diese Maschinen in verlassenen , menschenleeren Räumen, stumme Zeugen einer ehedem lauten, betriebsamen Arbeitssituation, sind nun „altes Eisen“. Kein Mensch ist mehr zu sehen, nur noch Stoffreste als fragiler Gegensatz zur metallenen Wuchtigkeit, als zarte Erinnerung an ehemalige Funktionen. Man spürt auf einigen Gemälden die bedrängte Enge der Produktionshallen, die abseits aller Nostalgie sicher kein so angenehmer Arbeitsplatz waren, aber doch eben ein Arbeitsplatz. Die Situation der arbeitslosen Textilarbeiter/innen, vornehmlich Frauen, wird unsichtbar auch lesbar in diesen Bildern, auch die Frauen sind sozusagen zu „altem Eisen“ geworden.
Die kleinen Objekte, denen Temnitschka sich zudem widmet, Scheren, Schlüsselbünde, Nachttisch Lampen etc. bekommen bei ihr fast etwas von seltsamen Lebewesen, die manchmal auch in skurrile Beziehung zueinander treten, vor Tapeten gestellt, die einen feinen Hinweis zu ihrer Entstehungszeit geben.
Alles ist Malerei, Erfindung, Verdichtung, kompositorisches Bauen eines Bildes durch Form und Farbe. So real alles scheint, es ist doch die Realität nur die Anregung für die gemalte Welt, die es der Künstlerin ermöglicht, das Gesehene für die Zwecke der Malerei zu benutzen oder auch nicht. Ein Schatten beispielsweise wird nicht durch den realen Lichteinfall bestimmt, sondern auf Grund der Komposition eingesetzt, um eine Form herauszuheben, um der Malerei akzentuierte Spannung zu verleihen. Entdecken können die Betrachter/innen viel in der Malerei von Maria Temnitschka, schicken sie ihre Augen nur auf eine langsame Entdeckungsreise.
Andreas Hoffer
Claudia Aigner, Wiener Zeitung 3.3.2020
In Würde rosten
(cai) Was malt sie denn so, die Maria Temnitschka? Ach, fast nur Schrott. Das sollte jetzt keine Wertung sein, bloß eine Feststellung. Ihre Modelle haben großteils ausgedient. Und sind aus Metall. Nicht, dass die alle „impotent“ wären. So leidenschaftlich, wie die Zange da (rostig, aber rüstig) dem Zirkel in die Schraube beißt . . .
Der Titel der Ausstellung in der Galerie Hrobsky („Altes Eisen“) ist jedenfalls doppeldeutig. „Spielt auch ein bisschen auf die älter werdende Künstlerin an“, bekennt die gebürtige Niederösterreicherin (Jahrgang 1961). „Gehört man schon bald zum alten Eisen? Und ist das automatisch etwas, das nichts mehr wert ist?“ In einer stillgelegten Textilfabrik im Waldviertel hat sie nun ein paar vor sich hin korrodierende Langzeitarbeitslose angetroffen. Müde Maschinen, denen die Fäden und Fetzerln noch lethargisch aus den monströsen Walzen heraushängen, als hätte man ihnen abrupt den Saft abgedreht. Nichts bewegt sich mehr (tja, wer rastet, der rostet), lediglich die Zeit vergeht. Und Zeit ist bekanntlich das, was geschieht, wenn sonst nix passiert. Ein Kommentar zum Jugendkult auf dem Arbeitsmarkt? Mit dem Pinsel zeigt Temnitschka ihre Wertschätzung fürs „alte Eisen“, beseelt es und den ganzen Raum mit ihrer weichen, gefühlsbetonten Malerei und einem warmen Licht, verstärkt mitunter die Rost-Patina. („Dafür ist ja die Kunst da. Dass man die Dinge besonders sichtbar macht.“) Sie steht überhaupt auf verwaiste Orte. Und obwohl sie auf der Angewandten in Wien im Aktsaal unterrichtet: nirgends ein Zweibeiner. („In dem Moment, wo man einen Menschen hineinmalt, schaut der Betrachter nur mehr den Menschen an.“) Aber die Maschinen sind eh menschlich genug. Zumindest nicht sächlich.
Und die intimen Stillleben daneben sind sowieso Porträts. Von Überlebenden der Wegwerfgesellschaft. Die Generation 50 plus. Die Taschenlampe aus der Kindheit funktioniert noch super (das heutige Plastikglumpert ist ja gleich hin), der betagte Ventilator (von der Künstlerin liebevoll Lindbergh getauft) ist zwar ausgesteckt, surrt sonst freilich aufgeregt wie ein Propeller vor der Atlantiküberquerung. Und überall kleine Geschichten. Oder große Beziehungsdramen. Das geheime Leben der angeblich toten Dinge.
Mag. Günther Oberhollenzer, Kunsthistoriker, Autor, Kurator Landesgalerie Niederösterreich
Häufig sehen wir einen weiten Horizont, ein ruhiges Meer, einen verlassenen Strand. Mit einem Hauch an Melancholie malt Temnischka einsame Naturlandschaften in ockerfarbigem Kolorit. Doch ihre Natur ist keine romantisch verklärter Sehnsuchtsort, keine unberührte Wildnis. Der Mensch ist immer schon da gewesen und hat unverkennbar seine Spuren hinterlassen – Spuren der sogenannten Zivilisation. Wir sehen einen ausrangierten Waggon beladen mit allerlei rostigem Unrat (wohin die Eisenbahnschienen wohl einmal geführt haben?), zwei wie zufällig abgestellte Gabelstapler mit einem Bohrturm im Hintergrund, eine zum Verkauf stehende Tankstelle, die wohl keinen neuen Besitzer mehr finden wird, ein löchriges Tragegestell, daneben, auf einer kleinen biederen Tischchen stehend, ein alter Röhrenfernseher. Wahrlich sonderbare Stillleben, skurril und rätselhaft, bisweilen auch unheimlich und nicht ohne Humor. Doch die Reste der Zivilisation wirken inmitten der Landschaften keineswegs wie Störfaktoren, sie gehen vielmehr fließend (auch farblich) in die Natur über, werden Teil von ihr. Immer wieder tauchen weiße oder auch rote Tücher auf, von Metallkonstruktionen herabhängend, aus Kartonschachteln herausquellend, am Boden liegend. Der Faltenwurf ist als ephemerer Moment flüchtig und vergänglich, in Temnitschkas Bildern wird er zur skulpturalen Form, von ihr malerisch festgehalten dem Verschwinden entrissen. Manche Szenerien erinnern an eine postapokalyptische Welt. Doch die Katastrophe ist schon längst Vergangenheit, nun ist wieder Frieden eingekehrt. Die Bilder strahlen eine große Ruhe und Stille aus. Temnitschka entwirft keine düsteren, pessimistischen Weltentwürfe, sondern eine abgeklärte Sicht auf die Endlichkeit der Dinge, vielleicht auch auf die eigene Sterblichkeit.
Menschen sind keine zu sehen, doch sie sind überall spürbar, in all den Tücher und Büchern, in den abgestellten Maschinen oder auch dem Untergang geweihten Papierschiff, das so kindlich leicht im Wasser zu schwimmen scheint… Die Spuren des Menschen machen ihn in seiner Abwesenheit sichtbar. Letztendlich geht es in den Bildern denn auch nicht um die Natur und Landschaft, nicht um die zurückgelassenen Objekte, Gerätschaften oder Häuserruinen. Es geht um den Menschen. Temnitschka Malereien sind Selbstporträts aber auch Porträts vom Menschsein an sich – malerische Zeugnisse, die uns viel von uns erzählen. Wir müssen nur genau hinschauen.
Günther Oberhollenzer
Für die Ausstellung im ÖBV-Atrium wählte Temnitschka aus ihren Serien „Unter der Brücke“ (2008/09) „Concrete“(2010) und „Lost in Time“(2011/12) jene Arbeiten aus, die sich besonders eindrucksvoll in die moderne Glas- und Stahlarchitektur des mit Leben gefüllten Atriums der Österreichischen Beamtenversicherung in Wien einfügen, beziehungsweise einen kräftigen Kontrapunkt dazu setzen. Hervorzuheben sind die Gemälde verlassener ÖBB-Werkshallen am Nordbahnhof und ein eigens für die Ausstellung konzipiertes Werk, welches das ÖBV-Atrium samt aktueller Temnitschka-Präsentation im Stadium des fortgeschrittenen Verfalls zeigt – ein vortrefflich inszeniertes Bild im Bild, das jede Betrachterin und jeden Betrachter ob des geglückten Déjà-vu-Effekts in seinen Bann zieht. Überdies stellen wir erleichtert fest, dass Temnitschka dieses nachdenklich stimmende, von Weltschmerz geprägte Thema auch mit einer gehörigen Portion Humor und Ironie anfasst.
Maria Temnitschka schlägt nach ihrem Studium der Metallgestaltung an der Hochschule für angewandte Kunst vorerst ganz andere Wege ein: sie entwirft und produziert Schmuckstücke sowie Objekte aus Metall, die zum Teil auch heute noch als „Lockerungsübung“ zwischendurch von der Künstlerin gefertigt werden. Nach ihrer Hinwendung zur abstrakten Malerei beginnt sie ein weiteres Studium an der Angewandten, diesmal in der Meisterklasse für Malerei bei Adolf Frohner, das sie mit Auszeichnung abschließt. Längst hat sie von der Abstraktion zur Figuration gefunden und seit 2001 ihr eigentliches malerisches Betätigungsfeld entdeckt: das Aufspüren und Festhalten von Orten, die die hochindustrialisierte, zunehmend digitalisierte Gesellschaft für unwert erklärt und sich selbst überlassen hat.
Anfangs bleibt Temnitschka, die im 2. Bezirk nahe der Nordbahnhofgründe lebt, ihrer unmittelbaren Umgebung treu und porträtiert liebevoll Stiegenhäuser und Hinterhöfe der Gründerzeitbauten ihrer Nachbarschaft. Doch schon bald führen sie ihre fotografischen Streifzüge weiter an die Peripherie, in die aufgegebenen Wirtschaftszonen hinein: es entstehen Bilder von Straßenfluchten mit Fabriksgebäuden und Großhandelshäusern, deren Tore längst geschlossen und deren heruntergelassenen Rollläden bereits Rost angesetzt haben.
Maria Temnitschkas Arbeiten lassen eine große Bewunderung der Malerin für den US-amerikanischen Realisten Edward Hopper erahnen. Wie bei Hopper, so sind auch ihre Industrielandschaften Spiegel der eigenen Befindlichkeit und zugleich Ortung eines gesamtgesellschaftlichen Zustands. Carl Aigner, der Laudator der Ausstellung und genaue Kenner des Werkes von Maria Temnitschka, bezeichnet ihre Bilder als „Seelenräume“, ihre korrodierenden Gebäude und Autobahnbrücken als „Metaphern des menschlichen Lebens … das Ende unausweichlich aber nicht als trostloser Ausblick, sondern als naturgesetzliches Geschehen.“
Insofern kann bei Temitschkas Gemälden nicht von Abbildern der Realität gesprochen werden, auch wenn sie noch so detailgetreu und minutiös gemalt wirken. Sie gehen weit über die (fotografische) Wirklichkeit hinaus indem Vorgefundenes malerisch übersteigert oder durch gänzlich Imaginiertes erweitert wird. Da kann es schon einmal vorkommen, dass mehrere Tages- oder Jahreszeiten in einem Gemälde gleichzeitig verbildlicht werden oder eine farbig durchgestaltete Bildhälfte fast unmerklich ins Schwarz-Weiß hinübergleitet. Letztlich dienen die unzähligen Fotos, die Maria Temnitschka bei ihren nicht ungefährlichen Wanderungen und „Einbrüchen“ herstellt nur der Bestandsaufnahme und Erinnerungshilfe an ihre eigenen vielschichtigen Emotionen, die sich während der Eroberung des Raumes und der Selbsverortung eingestellt haben müssen.
„Die neuen Bilder implizieren nicht mehr das beklemmende Raumgefühl ihrer früheren Malerei“, fasst Aigner die Wirkung der Ausstellung ORTUNG zusammen, „es ist vielmehr, als ob das Funktionsloswerden dieser Bauten ihnen dadurch erst eine autonome Würde verleiht: eine Weite der Zeit.“ mch
Helligkeit auch im Dämmerlicht, ein weit sich fortsetzender Weg aus dem Nebel heraus.
Die Bedeutung des gebauten Untergrunds – nicht der Unterwelt – sowie der den offenen Raum oder die Distanz von Ort zu Ort überquerenden Brücken.
Die Bedeutung des Schattens. Der Schatten als Bestätigung des Daseins, grösser oder kleiner, je nach dem einfallenden Licht.
Eine einzige menschliche Gestalt in der Bestätigung des Schattendaseins. Die Malerin selber? Ein Wächter? Kein Begleiter, keine Begleiterin, kein Vogel, kein Tier.
Die von den abwesenden Mächtigen und vom unsichtbaren Tross von Arbeitern und Maschinen geschaffene Welt, die naturerstickende, letztlich jedoch zeitbegrenzte Dominanz des Betons und der Technik.
Was bleibt sind Licht, Luft und Wasser – und die offenen Wege. Es sind menschenleere Wege.
Sind es Bilder der Einsamkeit?
Sind die Wege offen, um begangen zu werden.?
Sind es somit Bilder des dem Menschen gestellten Auftrags, nicht zu zögern, einen offenen Weg zu wählen und zu beschreiten?
….es sind Blicke und Details aus Stadtlandschaften, auf Relikte jener „schöpferischen Zerstörung“ welche „unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich eine neue schafft“, wie dies der Ökonom Joseph Schumpeter 1942 analysierte. Wenn Maria Temnitschka ihre konzentrierte Aufmerksamkeit beispielsweise dem Verfall von Industriearchitektur widmet, erschließt sie ihren Bildmotiven eine verblüffende Aktualität. Und trotz der realwirtschaftlichen Bezüge, die mit Konjunkturzyklen und Finanzmarktcrashes korrespondieren, verweist sie in diesen vanitas-Sujets auf das barocke Erbe einer Landschaftskunst, das die Ruine zu inszenieren weiß. Das Welttheater vom Aufstieg und Fall der Mächtigen bedient sich der Ruine, um zwischen Sein und Nichtsein eine reizvolle Szenerie auszubreiten, nämlich jene „Überganszone zwischen alt und neu, zwischen Abbruch und Neuanfang in der Zeit“ – wie Maria Temnitschka es formuliert – „vorübergehend stillsteht, wo die Natur zwischenzeitlich einwächst“.
Die Bilder der viel geschätzten Österreichischen Künstlerin Maria Temnitschka bestechen zunächst durch ihre graphisch perfekte Komposition und beunruhigen durch ihre Thematik und Farbgebung. Darin geht es um die komplexe Wechselwirkung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, eine meist urbane Umwelt, die oft sichtlich schwer an ihrer geschichtlichen Last zu tragen hat.
Man könnte Maria Temnitschkas Bilder als bezeichnende Momentaufnahmen vom Lebensweg ihrer Figuren interpretieren. Doch, ob die Wege mal hinaus ins Licht oder hinein in die ungewisse Finsternis führen, die Figuren scheinen in einer angstbeladenen Welt gefangen zu sein, der sie nicht entkommen können. Die Kälte der Farbgebung unterstützt die beklemmende Atmosphäre, die stark an Edward Hoppers urbane Landschaften erinnert, oder an den einen oder anderen gekonnten Psycho-Thriller des vergangenen Jahrhunderts. Diese Atmosphäre wird zusätzlich durch rätselhaft absurde architektonische Elemente verstärkt, die wiederum die verblüffenden Zeichnungen Eugen Mihaiescus zu zitieren scheinen.
Ist also der Mensch in einer Welt gefangen, die er selbst geschaffen hat?
Eine mögliche Antwort auf diese Frage könnte sein, dass es sich hier nicht so sehr um die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt, sondern eher um ausschließlich innere Welten der Vereinsamung, Isolation und Angst handelt.
Das Ambiente also als Spiegelbild der Seele?
Eigentlich wäre das eine gute Nachricht. Zumindest solange wir Herr über unsere Seelen sind.
Mag. Aranca Munteanu
Maria Temnitschka | Alle Bilder und Texte © Maria Temnitschka | Webdesign Martina Schönherr