Maria Temnitschka



Texte

Andreas Hoffer, Kurator Kunsthalle Krems

Altes Eisen, der Titel der Ausstellung legt einen feinen, doppelbödigen Humor der Künstlerin offen, der auch, ganz subtil und manchmal für die Betrachter/innen kaum merklich, in ihrer Malerei zu finden ist. Ganz wörtlich gelesen ist er aber ein Verweis auf die Sujets dieser aktuellen Serie, monumentale Maschinen aus aufgelassenen Textilbetrieben. Kolosse der Industrialisierung. Noch nicht in slicken Verpackungen versteckte Funktion, völlig analog, stehen diese Maschinen in verlassenen , menschenleeren Räumen, stumme Zeugen einer ehedem lauten, betriebsamen Arbeitssituation, sind nun „altes Eisen“. Kein Mensch ist mehr zu sehen, nur noch Stoffreste als fragiler Gegensatz zur metallenen Wuchtigkeit, als zarte Erinnerung an ehemalige Funktionen. Man spürt auf einigen Gemälden die bedrängte Enge der Produktionshallen, die abseits aller Nostalgie sicher kein so angenehmer Arbeitsplatz waren, aber doch eben ein Arbeitsplatz. Die Situation der arbeitslosen Textilarbeiter/innen, vornehmlich Frauen, wird unsichtbar auch lesbar in diesen Bildern, auch die Frauen sind sozusagen zu „altem Eisen“ geworden.

Die kleinen Objekte, denen Temnitschka sich zudem widmet, Scheren, Schlüsselbünde, Nachttisch Lampen etc. bekommen bei ihr fast etwas von seltsamen Lebewesen, die manchmal auch in skurrile Beziehung zueinander treten, vor Tapeten gestellt, die einen feinen Hinweis zu ihrer Entstehungszeit geben.

Alles ist Malerei, Erfindung, Verdichtung, kompositorisches Bauen eines Bildes durch Form und Farbe. So real alles scheint, es ist doch die Realität nur die Anregung für die gemalte Welt, die es der Künstlerin ermöglicht, das Gesehene für die Zwecke der Malerei zu benutzen oder auch nicht. Ein Schatten beispielsweise wird nicht durch den realen Lichteinfall bestimmt, sondern auf Grund der Komposition eingesetzt, um eine Form herauszuheben, um der Malerei akzentuierte Spannung zu verleihen. Entdecken können die Betrachter/innen viel in der Malerei von Maria Temnitschka, schicken sie ihre Augen nur auf eine langsame Entdeckungsreise.

Andreas Hoffer

Claudia Aigner, Wiener Zeitung 3.3.2020
In Würde rosten

(cai) Was malt sie denn so, die Maria Temnitschka? Ach, fast nur Schrott. Das sollte jetzt keine Wertung sein, bloß eine Feststellung. Ihre Modelle haben großteils ausgedient. Und sind aus Metall. Nicht, dass die alle „impotent“ wären. So leidenschaftlich, wie die Zange da (rostig, aber rüstig) dem Zirkel in die Schraube beißt . . .

Der Titel der Ausstellung in der Galerie Hrobsky („Altes Eisen“) ist jedenfalls doppeldeutig. „Spielt auch ein bisschen auf die älter werdende Künstlerin an“, bekennt die gebürtige Niederösterreicherin (Jahrgang 1961). „Gehört man schon bald zum alten Eisen? Und ist das automatisch etwas, das nichts mehr wert ist?“ In einer stillgelegten Textilfabrik im Waldviertel hat sie nun ein paar vor sich hin korrodierende Langzeitarbeitslose angetroffen. Müde Maschinen, denen die Fäden und Fetzerln noch lethargisch aus den monströsen Walzen heraushängen, als hätte man ihnen abrupt den Saft abgedreht. Nichts bewegt sich mehr (tja, wer rastet, der rostet), lediglich die Zeit vergeht. Und Zeit ist bekanntlich das, was geschieht, wenn sonst nix passiert. Ein Kommentar zum Jugendkult auf dem Arbeitsmarkt? Mit dem Pinsel zeigt Temnitschka ihre Wertschätzung fürs „alte Eisen“, beseelt es und den ganzen Raum mit ihrer weichen, gefühlsbetonten Malerei und einem warmen Licht, verstärkt mitunter die Rost-Patina. („Dafür ist ja die Kunst da. Dass man die Dinge besonders sichtbar macht.“) Sie steht überhaupt auf verwaiste Orte. Und obwohl sie auf der Angewandten in Wien im Aktsaal unterrichtet: nirgends ein Zweibeiner. („In dem Moment, wo man einen Menschen hineinmalt, schaut der Betrachter nur mehr den Menschen an.“) Aber die Maschinen sind eh menschlich genug. Zumindest nicht sächlich.

Und die intimen Stillleben daneben sind sowieso Porträts. Von Überlebenden der Wegwerfgesellschaft. Die Generation 50 plus. Die Taschenlampe aus der Kindheit funktioniert noch super (das heutige Plastikglumpert ist ja gleich hin), der betagte Ventilator (von der Künstlerin liebevoll Lindbergh getauft) ist zwar ausgesteckt, surrt sonst freilich aufgeregt wie ein Propeller vor der Atlantiküberquerung. Und überall kleine Geschichten. Oder große Beziehungsdramen. Das geheime Leben der angeblich toten Dinge.

Mag. Günther Oberhollenzer, Kunsthistoriker, Autor, Kurator Landesgalerie Niederösterreich

Häufig sehen wir einen weiten Horizont, ein ruhiges Meer, einen verlassenen Strand. Mit einem Hauch an Melancholie malt Temnischka einsame Naturlandschaften in ockerfarbigem Kolorit. Doch ihre Natur ist keine romantisch verklärter Sehnsuchtsort, keine unberührte Wildnis. Der Mensch ist immer schon da gewesen und hat unverkennbar seine Spuren hinterlassen – Spuren der sogenannten Zivilisation. Wir sehen einen ausrangierten Waggon beladen mit allerlei rostigem Unrat (wohin die Eisenbahnschienen wohl einmal geführt haben?), zwei wie zufällig abgestellte Gabelstapler mit einem Bohrturm im Hintergrund, eine zum Verkauf stehende Tankstelle, die wohl keinen neuen Besitzer mehr finden wird, ein löchriges Tragegestell, daneben, auf einer kleinen biederen Tischchen stehend, ein alter Röhrenfernseher. Wahrlich sonderbare Stillleben, skurril und rätselhaft, bisweilen auch unheimlich und nicht ohne Humor. Doch die Reste der Zivilisation wirken inmitten der Landschaften keineswegs wie Störfaktoren, sie gehen vielmehr fließend (auch farblich) in die Natur über, werden Teil von ihr. Immer wieder tauchen weiße oder auch rote Tücher auf, von Metallkonstruktionen herabhängend, aus Kartonschachteln herausquellend, am Boden liegend. Der Faltenwurf ist als ephemerer Moment flüchtig und vergänglich, in Temnitschkas Bildern wird er zur skulpturalen Form, von ihr malerisch festgehalten dem Verschwinden entrissen. Manche Szenerien erinnern an eine postapokalyptische Welt. Doch die Katastrophe ist schon längst Vergangenheit, nun ist wieder Frieden eingekehrt. Die Bilder strahlen eine große Ruhe und Stille aus. Temnitschka entwirft keine düsteren, pessimistischen Weltentwürfe, sondern eine abgeklärte Sicht auf die Endlichkeit der Dinge, vielleicht auch auf die eigene Sterblichkeit.

Menschen sind keine zu sehen, doch sie sind überall spürbar, in all den Tücher und Büchern, in den abgestellten Maschinen oder auch dem Untergang geweihten Papierschiff, das so kindlich leicht im Wasser zu schwimmen scheint… Die Spuren des Menschen machen ihn in seiner Abwesenheit sichtbar. Letztendlich geht es in den Bildern denn auch nicht um die Natur und Landschaft, nicht um die zurückgelassenen Objekte, Gerätschaften oder Häuserruinen. Es geht um den Menschen. Temnitschka Malereien sind Selbstporträts aber auch Porträts vom Menschsein an sich – malerische Zeugnisse, die uns viel von uns erzählen. Wir müssen nur genau hinschauen.

Günther Oberhollenzer

Mag. Hartwig Knack, Eröffnungsrede zur Ausstellung „lost in thought“ in der Galerie Hrobsky, Wien im März 2015
Kennengelernt haben Maria Temnitschka und ich uns im Jahr 2004. Damals war ich Kurator der Kunsthalle Krems und hatte eine Ausstellung in Vorbereitung, die REAL – Junges Österreich heißen sollte. Das Konzept war, noch Studierende und KünstlerInnen vorzustellen, die gerade ihr Diplom absolviert hatten. Maria Temnitschka war damals gerade im Begriff, ihr Diplom an der Angewandten bei Adolf Frohner zu machen, und so wurde sie Teil unserer Ausstellung. 2004 hatte Maria Temnitschka begonnen, Architekturen in ihr malerisches Repertoir zu integrieren. Zuerst waren es Stiegenhäuser, Ansichten von engen Innenhöfen, den Blick die Architektur hinauf zu den Dächern gelenkt und weiter hinauf bis zu den Wolken. Ich erinnere mich an zum Teil bedrohlich wirkende, leicht verzerrte Perspektiven. Das Thema Urbanität hatte damals einen Platz in ihrer Malerei gefunden.
Seit der Ausstellung in Krems sind knapp 10 Jahre vergangen und Maria Temnitschka ist ihrer Sujetauswahl nicht treu geblieben, aber sie hat sie folgerichtig weiterentwickelt: Marode Architektur, der Leerstand, das, was ausgedient hat, was übrig geblieben ist, nicht mehr benutzt, nicht mehr gebraucht wird, das, was zum alten Eisen gehört ist Thema bei ihr. Eine Bilderserie (2007/08 entstanden) hatte sie sogar mit „ROST“ betitelt, in der sie verfallene Industriearchitektur porträtiert, dokumentiert, künstlerisch interpretiert hatte.
Hier sehen wir Arbeiten aus ihrer jüngsten Serie „Lost in Thought“ aus 2014/2015 und zwei Arbeiten aus der Vorgängerserie „Lost in Time“ von 2013.
Wir alle kennen den Begriff der Industrieromantik – man schwelgt gleichsam in nostalgischen Erinnerungen. Das melancholische Moment wird angesichts der erhabenen Größe dieser beeindruckenden Architektur aktiviert. Und die Melancholie hat – so wird zumindest kolportiert – immer auch eine kreative, eine schöpferische Seite. Und diesen Umstand sehe ich hier ganz deutlich. Hinzu kommt die Idee, dass die Natur die menschlichen Eingriffe überlebt und im Laufe der Zeit sich ihre Orte zurückerobert. In vielen Bildern Marias neuer Serie drängen Bäume und Sträucher in die Räume hinein und erobern sich das von Menschen Geschaffene wieder zurück.
Ich fühle mich diesen Bildern und auch den verwandten früheren Serien persönlich insofern besonders verbunden, da ich im Ruhrgebiet in Deutschland aufgewachsen bin und den Niedergang der Stahlindustrie, des Steinkohlenbergbaus unmittelbar miterlebt habe. Damit zusammenhängend auch das Verschwinden der zumeist aus dem 19. Jhdt. stammenden Industriearchitektur, die uns hier sozusagen umgibt.
Vereinzelt gibt es im Ruhrgebiet noch Industriebrachen und auch leerstehende Fabriken. Vielfach sind diese Areale aber mittlerweile zu Industriedenkmälern umfunktioniert worden, Kunst- und Kulturinstitutionen, auch viel Subkultur, kleinere Initiativen sind vielerorts eingezogen. Eine augenscheinlich sehr sinnvolle Neunutzung, die hier in Österreich leider viel zu selten stattfindet. Dieses Stimmungsbild eines grundsätzlichen Neuanfangs vermitteln die hier ausgestellten Arbeiten in vorzüglicher Weise.
Mit dem Interesse für Rost als künstlerisches Element oder Sujet steht Maria Temnitschka nicht allein da. Ich möchte nochmal kurz darauf zurückkommen. Auch in diesen neuen Bildern findet sich mal ein verrostetes Treppengeländer, oder etwa auch eine große Kabeltrommel auf einem rostigen Sockel. Künstler wie Donald Judd, Jean Tinguely oder Richard Serra, die vor allem im Bereich der Plastik aktiv waren, erprobten die Prozesshaftigkeit und ästhetische Größe von Rost bereits in den 1970er Jahren.
Korrosion und Oxidation sind im Grunde nichts anderes als allseits bekannte chemische Reaktionen und in der Regel Indikatoren für Verfall, Zersetzung und Zerstörung. In Marias Kunst hingegen wandeln sich diese Prozesse der Auflösung  zu Informationsträgern und schöpferischen Merkmalen, die sich in ihren aus verschiedenen Versatzstücken zusammengebauten Bildwelten manifestieren. Ihre Gemälde sind in der Regel verfremd. Maria macht viele Fotos wenn sie diese Orte besucht, nimmt während des Malprozesses aber immer wieder Änderungen vor, fügt Dinge hinzu, nimmt Störendes weg. Ihre Arbeiten gehen also weit über das bloß Dokumentierende oder Abbildende hinaus.
Ich bin vor ein paar Tagen auf eine geistreiche Bemerkung von Yoko Ono gestoßen, die in diesem Zusammenhang sehr gut passt: „Die Aufgabe eines Künstlers besteht darin, den Wert der Dinge zu verändern.“
Und genau das passiert hier: Die auf dem Abstellgleis stehende Architektur, die liegen gelassenen Dinge sind etwas Wertvolles. Man kann sich in ihnen physisch aber auch gedanklich verlieren. Ich sehe Maria fast schon auf dem von ihr gemalten Sessel sitzen, gedanklich entrückt, ganz woanders unterwegs, die Dinge um sich herum neu ordnend und in ein neues Licht stellend. Der Sessel selbst scheint auch wie entrückt zu sein; ganz woanders hinzugehören. Zumindest wirft er überhaupt keinen Schatten, hebt sich auch farblich völlig von seinem Umraum ab wie ein Fremdkörper, suggeriert aber gleichzeitig einen Innenraum und definiert sein Drumherum neu. Warum? Weil wir mit einem Sessel ja fast automatisch ein Interieur assoziieren. Der Sessel gehört ins Zimmer. Diesen Umstand löst Maria in diesem Bild aber auf. Das Innere öffnet sich dem Außen bzw. der Außenraum drängt ins Innere vor. Es fehlt die Türschwelle, wenn wir genau hinschauen. Ist das überhaupt der Teil eines Türstockes dort links? Man kennt sich in den Bildebenen der neuen Arbeiten Maria Temnitschkas nicht mehr wirklich aus. Und genau das beschreibt den  neuen Kunstgriff in ihren neuen Bildern. Noch deutlicher wird es vielleicht im Bild „Lost in time 3-15“: Die Brüche im Bildraum sind ganz deutlich zu sehen. Innen und außen, davor und dahinter verschwimmen. Details lösen sich malerisch auf, die Räume verlieren zunehmend ihre klare architektonische Struktur. Plötzlich verändern sich die Dinge für uns Kunstinteressierte dadurch auch inhaltlich. Sie stehen in einem neuen Kontext.
Was sich zudem in Marias Kunst verändert hat ist das Malerische. Die Künstlerin hat mir letztens von einer Reise nach Belgien erzählt, wo sie vor Bildern des flämischen Malers Frans Hals gestanden ist. Frans Hals, einer der großen Künstler des 15. Jahrhunderts, hatte für die damalige Zeit sehr mutig die altmeisterliche Lasurtechnik über Bord geworfen und mit breitem Pinselstrich Gemälde sehr skizzenhaft ausgeführt. Diese Lebendigkeit des Pinselstrichs und eine enorme Farbigkeit in der Fläche finden sich nun auch vermehrt in den Arbeiten Maria Temnitschkas. Ganz deutlich zu sehen im ersten Bild der Serie „Lost in Thought“, wo Maria die Farbe besonders pastos aufgetragen hat und zudem mit einem Spachtel gearbeitet hat. Einzelne Partien möchte man sogar als abstrakt beschreiben, weil sich die Motive von den Fotovorlagen malerisch immer weiter entfernen beziehungsweise sich auflösen.
Wir haben es also mit einer regelrechten Zäsur in der malerischen Ausformulierung zu tun. Weg von einer realistischen Darstellung hin zu einer neuen Freiheit. Ohne allerdings auf “Vorbilder“ zu verzichten. In diesem Fall Frans Hals oder auch Jan Vermeer, dem wohl bekanntesten holländischen Maler des Barock. Wir alle kennen das Bild „Die Malkunst“ von Vermeer. Ins Bildmotiv ragt von links ein schwerer Vorhang hinein. Faltenwürfe zu malen liebten die alten Meister. Und Maria Temnitschka scheint auch auf den Geschmack gekommen zu sein. Textile Elemente, Stoffe, Faltenwürfe kommen immer mehr ins Spiel. Mit breitem Pinselstrich ausgeführt, eine große Lebendigkeit ausstrahlend – weg von realistischen Farbverläufen hin zu einem breiteren farbigen Spektrum.
Ein letzter Satz noch zu der verfallenden Architektur, die bei Maria nach wie vor im Vordergrund steht: Irgendwann verschwinden die Dinge ja tatsächlich. Das gilt auch für die ausgestellten Bilder. Die verschwinden regelmäßig, weil sie sich ganz gut verkaufen. Sie sollten Ihre Chance nutzen und heute zugreifen, bevor alles weg ist. Nichts ist für die Ewigkeit.
Mag.Maria Holter, Kunsthistorikerin zur Ausstellung „Ortung“ in der ÖBV Wien, Oktober 2012
Bilder verlassener Industriearchitektur als Zustandbestimmung.
Verfallende Fabriksgebäude, längst nutzlos gewordene Lagerhallen, bröckelnde Betonpfeiler von Autobahnbrücken –  dies sind jene Orte, oder besser „Unorte“, die die Wiener Malerin Maria Temnitschka zu ihrem Leitthema der letzten 10 Jahre gemacht hat.

Für die Ausstellung im ÖBV-Atrium wählte Temnitschka aus ihren Serien „Unter der Brücke“ (2008/09) „Concrete“(2010) und „Lost in Time“(2011/12) jene Arbeiten aus, die sich besonders eindrucksvoll in die moderne Glas- und Stahlarchitektur des mit Leben gefüllten Atriums der Österreichischen Beamtenversicherung in Wien einfügen, beziehungsweise einen kräftigen Kontrapunkt dazu setzen. Hervorzuheben sind die Gemälde verlassener ÖBB-Werkshallen am Nordbahnhof und ein eigens für die Ausstellung konzipiertes Werk, welches das ÖBV-Atrium samt aktueller Temnitschka-Präsentation im Stadium des fortgeschrittenen Verfalls zeigt – ein vortrefflich inszeniertes Bild im Bild, das jede Betrachterin und jeden Betrachter ob des geglückten Déjà-vu-Effekts in seinen Bann zieht. Überdies stellen wir erleichtert fest, dass Temnitschka dieses nachdenklich stimmende, von Weltschmerz geprägte Thema auch mit einer gehörigen Portion Humor und Ironie anfasst.

Maria Temnitschka schlägt nach ihrem Studium der Metallgestaltung an der Hochschule für angewandte Kunst vorerst ganz andere Wege ein: sie entwirft und produziert Schmuckstücke sowie Objekte aus Metall, die zum Teil auch heute noch als „Lockerungsübung“ zwischendurch von der Künstlerin gefertigt werden. Nach ihrer Hinwendung zur abstrakten Malerei beginnt sie ein weiteres Studium an der Angewandten, diesmal in der Meisterklasse für Malerei bei Adolf Frohner, das sie mit Auszeichnung abschließt. Längst hat sie von der Abstraktion zur Figuration gefunden und seit 2001 ihr eigentliches malerisches Betätigungsfeld entdeckt: das Aufspüren und Festhalten von Orten, die die hochindustrialisierte, zunehmend digitalisierte Gesellschaft für unwert erklärt und sich selbst überlassen hat.

Anfangs bleibt Temnitschka, die im 2. Bezirk nahe der Nordbahnhofgründe lebt, ihrer unmittelbaren Umgebung treu und porträtiert liebevoll Stiegenhäuser und Hinterhöfe der Gründerzeitbauten ihrer Nachbarschaft. Doch schon bald führen sie ihre fotografischen Streifzüge weiter an die Peripherie, in die aufgegebenen Wirtschaftszonen hinein: es entstehen Bilder von Straßenfluchten mit Fabriksgebäuden und Großhandelshäusern, deren Tore längst geschlossen und deren heruntergelassenen Rollläden bereits Rost angesetzt haben.

Maria Temnitschkas Arbeiten lassen eine große Bewunderung der Malerin für den US-amerikanischen Realisten Edward Hopper erahnen. Wie bei Hopper, so sind auch ihre Industrielandschaften Spiegel der eigenen Befindlichkeit und zugleich Ortung eines gesamtgesellschaftlichen Zustands. Carl Aigner, der Laudator der Ausstellung und genaue Kenner des Werkes von Maria Temnitschka, bezeichnet ihre Bilder als „Seelenräume“, ihre korrodierenden Gebäude und Autobahnbrücken als „Metaphern des menschlichen Lebens …  das Ende unausweichlich aber nicht als trostloser Ausblick, sondern als naturgesetzliches Geschehen.“

Insofern kann bei Temitschkas Gemälden nicht von Abbildern der Realität gesprochen werden, auch wenn sie noch so detailgetreu und minutiös gemalt wirken. Sie gehen weit über die (fotografische) Wirklichkeit hinaus indem Vorgefundenes malerisch übersteigert oder durch gänzlich Imaginiertes erweitert wird. Da kann es schon einmal vorkommen, dass mehrere Tages- oder Jahreszeiten in einem Gemälde gleichzeitig verbildlicht werden oder eine farbig durchgestaltete Bildhälfte fast unmerklich ins Schwarz-Weiß hinübergleitet. Letztlich dienen die unzähligen Fotos, die Maria Temnitschka bei ihren nicht ungefährlichen Wanderungen und „Einbrüchen“ herstellt nur der Bestandsaufnahme und Erinnerungshilfe an ihre eigenen vielschichtigen Emotionen, die sich während der Eroberung des Raumes und der Selbsverortung eingestellt haben müssen.

„Die neuen Bilder implizieren nicht mehr das beklemmende Raumgefühl ihrer früheren Malerei“, fasst Aigner die Wirkung der Ausstellung ORTUNG zusammen, „es ist vielmehr, als ob das Funktionsloswerden dieser Bauten ihnen dadurch erst eine autonome Würde verleiht: eine Weite der Zeit.“ mch

Dr. Maja Wicki-Vogt, Philosophin und Psychotherapeutin – Reflexionen zur Ausstellung „Unter der Brücke“, Okt. 2009, Galerie Schlesinger, Zürich

Helligkeit auch im Dämmerlicht, ein weit sich fortsetzender Weg aus dem Nebel heraus.

Die Bedeutung des gebauten Untergrunds – nicht der Unterwelt – sowie der den offenen Raum oder die Distanz von Ort zu Ort überquerenden Brücken.

Die Bedeutung des Schattens. Der Schatten als Bestätigung des Daseins, grösser oder kleiner, je nach dem einfallenden Licht.

Eine einzige menschliche Gestalt in der Bestätigung des Schattendaseins.  Die Malerin selber? Ein Wächter? Kein Begleiter, keine Begleiterin, kein Vogel, kein Tier.

Die von den abwesenden  Mächtigen und vom unsichtbaren Tross von Arbeitern und Maschinen geschaffene Welt, die naturerstickende, letztlich jedoch zeitbegrenzte Dominanz des Betons und der Technik.

Was bleibt sind Licht, Luft und Wasser – und die offenen Wege. Es sind menschenleere Wege.

Sind es Bilder der Einsamkeit?

Sind die Wege offen, um begangen zu werden.?

Sind es somit  Bilder des dem Menschen gestellten Auftrags, nicht zu zögern, einen offenen Weg zu wählen und zu beschreiten?

Dr. Johann Berger zur Ausstellungseröffnung auf Gut Gasteil, Prigglitz NÖ, Juni 2009

….es sind Blicke und Details aus Stadtlandschaften, auf Relikte jener „schöpferischen Zerstörung“ welche „unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich eine neue schafft“, wie dies der Ökonom Joseph Schumpeter 1942 analysierte. Wenn Maria Temnitschka ihre konzentrierte Aufmerksamkeit beispielsweise dem Verfall von Industriearchitektur widmet, erschließt sie ihren Bildmotiven eine verblüffende Aktualität. Und trotz der realwirtschaftlichen Bezüge, die mit Konjunkturzyklen und Finanzmarktcrashes  korrespondieren, verweist sie in diesen vanitas-Sujets auf das barocke Erbe einer Landschaftskunst, das die Ruine zu inszenieren weiß. Das Welttheater vom Aufstieg und Fall der Mächtigen bedient sich der Ruine, um zwischen Sein und Nichtsein eine reizvolle Szenerie auszubreiten, nämlich jene „Überganszone zwischen alt und neu, zwischen Abbruch und Neuanfang in der Zeit“ – wie Maria Temnitschka es formuliert – „vorübergehend stillsteht, wo die Natur zwischenzeitlich einwächst“.

Mag. Aranca Munteanu zur Ausstellungseröffnung im Rumänischen Kulturinstitut 2005

Die Bilder der viel geschätzten Österreichischen Künstlerin Maria Temnitschka bestechen zunächst durch ihre graphisch perfekte Komposition und beunruhigen durch ihre Thematik und Farbgebung. Darin geht es um die komplexe Wechselwirkung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, eine meist urbane Umwelt, die oft sichtlich schwer an ihrer geschichtlichen Last zu tragen hat.

Man könnte Maria Temnitschkas Bilder als bezeichnende Momentaufnahmen vom Lebensweg ihrer Figuren interpretieren. Doch, ob die Wege mal hinaus ins Licht oder hinein in die ungewisse Finsternis führen, die Figuren scheinen in einer angstbeladenen Welt gefangen zu sein, der sie nicht entkommen können. Die Kälte der Farbgebung unterstützt die beklemmende Atmosphäre, die stark an Edward Hoppers urbane Landschaften erinnert, oder an den einen oder anderen gekonnten Psycho-Thriller des vergangenen Jahrhunderts. Diese Atmosphäre wird zusätzlich durch rätselhaft absurde architektonische Elemente verstärkt, die wiederum die verblüffenden Zeichnungen Eugen Mihaiescus zu zitieren scheinen.

Ist also der Mensch in einer Welt gefangen, die er selbst geschaffen hat?

Eine mögliche Antwort auf diese Frage könnte sein, dass es sich hier nicht so sehr um die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt, sondern eher um ausschließlich innere Welten der Vereinsamung, Isolation und Angst handelt.

Das Ambiente also als Spiegelbild der Seele?

Eigentlich wäre das eine gute Nachricht. Zumindest solange wir Herr über unsere Seelen sind.

Mag. Aranca Munteanu


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