Claudia Aigner Wiener Zeitung vom 28.11.2017
Die ganze Welt liegt am Meer
(cai) Genau so stellt man sich einen romantischen Strandspaziergang vor. Nach dem Aussterben der Menschheit. (Was war denn die Todesursache? Ach, vermutlich der Klimawandel. Durch den Anstieg des Meeresspiegels sind anscheinend die Ozeane überall über die Ufer getreten und jetzt liegt die ganze Welt am Meer.)
Nichts als herrliche Ruhe, keine Frisbees und Klingeltöne fliegen einem um die Ohren, die Sonne lacht (stumm). Okay, alles ist ein bissl vermüllt (mit den Restln der Zivilisation). Der Sperrmüll fügt sich freilich eh erstaunlich harmonisch in die friedliche Szenerie ein. Die Menschen sind vielleicht tot, aber die Malerei lebt. Und Maria Temnitschka ist die letzte Malerin auf Erden. Streift durch die postapokalyptischen Gefilde. Ist in ihrer Serie „transition“ (Galerie Hrobsky) dort am überzeugendsten, wo sie die melancholische Weltuntergangsstimmung atmosphärisch duftig und nuanciert einfängt und das Licht und eine sanfte Brise luftig in die Farbe hineinpinselt. Im Grunde innere Porträts. Seelenlandschaften, in denen die Künstlerin chaotische Vanitas-Stillleben aussetzt. Surreale Gefühlswelten. Gestrandet im Sand: ein abgekoppelter Güterwaggon, auf dem der Schrott pittoresk vor sich hin rostet. Das kontemplative Gegenteil von Turners „Regen, Dampf und Geschwindigkeit“, vom Eisenbahndrama in Öl. Die Häuser sind ebenfalls gefährlich nah am Wasser gebaut. Durchwühlte Interieurs. Glaskristalle auf dem Boden. (Die Tränen eines Lusters aus glanzvolleren Tagen.)
Kurz: lauter beseelte Tücher. Die bemalten sowieso (also die Leinwände). Aber auch die ge-malten, die im Wind und in der Einsamkeit flattern, sich kreatürlich in Falten werfen. Denen bläst Temnitschka den Odem des Lebens ein. Im stürmischsten Sinne des Wortes.
Wiener Zeitung 28.4.2015
Die Sonne
macht Lachyoga
(cai) Eine Lichttherapie soll ja gut gegen Depressionen sein. Die Stimmung aufhellen. Und sie funktioniert offenbar tatsächlich. Ein kurzer Aufenthalt in der, nein, nicht in der Psychiatrie, sondern in der Galerie Hrobsky, hat mich überzeugt. Denn wenn man vor den neuen Bildern von Maria Temnitschka steht, dann müsste man sich doch eigentlich wie der letzte Mensch auf Erden fühlen: im Stich gelassen, elend, freudlos.
Die Motive in der sensibel gemalten Serie „Lost in Thought“ sind schließlich, wie in den Vorgängerserien „Rost“ und „Lost in Time“, ziemlich deprimierend. (Verlassene Räume, dem Verfall preisgegeben.) Trotzdem ist man optimistisch. Fast glücklich. Da stellt die Sonne ihr Licht wirklich nicht unter den Schatten. Die zerkugelt sich draußen, während drinnen längst alles den Bach runtergegangen ist. Oft sind sogar schon Hausbesetzer eingezogen. (Aus der Natur.) Die Photosynthese dürfte zumindest kein Problem sein. (Bei dem stabilen Schönwetter, das sich bei jeder Öffnung reinzwängt.)
Unaufdringlich erzählt die Niederösterreicherin kleine Geschichten von der Vergänglichkeit. Neben einem Klavier mit Totalschaden „trauern“ vertrocknete Blätter. (Ob sich ein Baum das Laub aus dem Geäst geweint hat, weil ein Klavier doch auch aus Holz ist?) Und immer wieder löst sich die klare Architektur in einer delikaten malerischen Atmosphäre auf.
Surreal wird’s, wenn Temnitschka einen mit Ordnern vollgestopften Kasten in eine diffuse Landschaft entrückt. Hat sie die bürokratische Zettelwirtschaft kurzerhand in der Wildnis ausgesetzt? Kann die dort überhaupt überleben, Nahrung finden (sprich Formulare)? Aber wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt eh von irgendwo ein Lichtlein her. (Vanitas für Optimisten.)
NÖN 2009
……Maria Temnitschka malt verlassene Wiener Fabrikanlagen, Lagerhallen, Hinterhöfe und Tankstellen. „Schön und morbide“ gehört sicher zu den häufigsten Attributen mit denen Wien versehen wird. Doch diese Schönheit und Morbidität findet sich an vielen Orten, wenn man sich abseits der großen Touristenhauptstraßen begibt. Wenn man in eine kleine Gasse einbiegt, ein Tor oder eine Tür öffnet, wenn man sich in die Peripherie begibt. Schön, dass das Menschen wie Maria Temnitschka festhalten, bevor es entgültig beseitigt oder totsaniert wird……
Pax et Iustitia,Jänner 2009
Neben einer gemeinsamen Erklärung haben die einzelnen Kommissionen Künstler aus ihren jeweiligen Herkunftsländern gebeten, sich mit dem Anliegen des Projekts auf ihre Weise auseinanderzusetzen. Das Produkt dieses Schaffens stellen sie nun im Foyer des Europaratsgebäudes in Straßburg aus. Österreich ist mit einem Ölbild der Wiener Künstlerin Maria Temnitschka vertreten. Temnitschka, geb. 1961 in Niederösterreich studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien. In den vergangenen Jahren hat sie vor allem durch ihre Darstellungen postindustrieller Architektur und einsamer Hausinnenansichten auf sich aufmerksam gemacht. Ihre Kunst ist so auch Sinnbild für die fortschreitende Vereinzelung des Menschen in unserer Gesellschaft.
Maria Temnitschka | Alle Bilder und Texte © Maria Temnitschka | Webdesign Martina Schönherr